Der weise Bauer und sein Sohn

 

Ein Bauer lebte mit seinem Sohn und einem Pferd, das vor seinem Haus auf einer Weide stand. Es galt als das schönste Pferd im ganzen Land, weshalb die Menschen dem Mann und seinem Sohn voller Bewunderung begegneten. „Habt ihr ein Glück, so ein hübsches Wert zu besitzen“, sagten sie. Doch der Bauer war klug und weise. Er antwortete den Leuten: „Ob etwas gut oder schlecht ist, wer weiss das schon…“

 

 

Eines Tages riss das Pferd aus und war verschwunden. Der Bauer traf die Menschen im Ort und sie sprachen voller Mitgefühl: „Du armer Kerl, du hattest so ein schönes Pferd und nun ist es weg. So ein Pech aber auch!“ Doch der Bauer reagierte wieder weise: „Ob etwas gut oder schlecht ist, wer weiss das schon…“

 

Sein Sohn begab sich auf die Suche nach dem Pferd, um es zurück nach Hause zu holen. Nach einiger Zeit fand er es tatsächlich in einer grossen Herde wunderbarer Wildpferde. Als er sein Ross einfing, folgten ihm alle Wildpferde bis nach Hause. Plötzlich besassen er und sein Vater nicht mehr nur ein Pferd, sondern viele weitere teure und edle Wildpferde.

 

Die Leute aus ihrem Dorf staunten und sprachen wieder voller Bewunderung: „Ihr glücklichen Männer! Nun habt ihr eine ganze Herde edler und wertvoller Pferde. Wieviel Glück ihr doch habt!“ Doch der Mann antwortete: „Ob etwas gut oder schlecht ist, wer weiss das schon…“

 

Als der Sohn des Bauern eines Tages auf einem der Wildpferde ritt, stürzte er und brach sich ein Bein. Die Leute reagierten bestürzt: „Oh, du armer Mann, welch ein großes Unglück dieser schwere Sturz deines Sohnes doch ist!“ Und der Bauer antwortete: „Ob etwas gut oder schlecht ist, wer weiss das schon…“

 

 

Ein paar Wochen später brach ein Krieg aus und alle jungen Männer wurden zur Verteidigung des Landes eingezogen. Nur der der Sohn des Bauern musste aufgrund seines gebrochenen Beines nicht in den Kampf ziehen. Wieder sagte der Bauer: „Ob etwas gut oder schlecht ist, wer weiss das schon…“

 

Was wir von dem weisen Bauern lernen können? Manchmal geschehen Dinge, die zuerst wie bittere Niederlagen aussehen und sich später, im Rückspiegel betrachtet, als Geschenke erweisen. Dafür bedarf es meist bloss einen Wechsel der Perspektive, einen kurzen Moment der Reflexion. Der Blickwinkel, aus dem wir unser Leben betrachten, entscheidet darüber, wie wir es empfinden.